• Mémorial des déserteurs de Köln © Intégral Ruedi Baur Paris

"Hier, und nirgendwo anders" oder die Macht der Form des Geschriebenen

Ruedi Baur l Zürich l Paris

Auf Basis von eigenen Arbeiten zeigt der Grafiker Ruedi Baur, wie das Geschriebene im Raum die Wahrnehmung unterstützen oder auch verändern kann. Die verschiedenen Beziehungen der Architektur und der Typographie respektiv der Stadtplanung und der Grafik werden dadurch analysiert. Sie überschreiten die Bereiche der Orientierung und der Information.

Die Leitsysteme von Ruedi Baur sind Teil einer räumlichen und urbanen Inszenierung.

Die Macht der Zeichen

Der bekannte Kommunikationsdesigner Ruedi Baur über Typografie und was sie bewirken kann

von Gisela Graf, Freiburg | gisela graf communications

Ruedi Baur interessieren die kaputten Orte. Am spannendsten findet er Stadträume, die niemand gerne aufsucht, uncharmante oder vernachlässigte Plätze. Solchen Unorten mit Schrift eine Poesie zu verleihen, ist sein Anliegen. Er traut der Typopgrafie zu, dass sie einen Ort oder einen Raum so verändern kann, dass er anders als vorher wahrgenommen wird. Als Schriftgestalter weiß Ruedi Baur, wovon er redet – und anhand seiner Arbeiten zeigte er an diesem Abend im Architekturforum rund 100 Gästen, dass ihm das gelingt. Denn er kennt die Macht der Zeichen.

Dabei inspiriert ihn die Auseinandersetzung mit dem Ort, zu dem eine bestimmte Form nur so und nicht anders und nur „Hier, und nirgendwo anders“ passt. „,Hier und nirgendwo anders‘ oder die Macht der Form des Geschriebenen“ lautet auch der Titel seines Vortrags.

Das "Quartier des spectacles" in Montréal ist ein Stadtviertel, das schon immer viele kulturelle Einrichtungen besaß, aber auch mit sozialen Problemen, Drogenhandel und Prostitution kämpfte. Baur setzte hier als Medien Licht und Film ein, um die spezielle Atmosphäre dieses Ortes aufzunehmen und zu unterstreichen. Gemeinsam mit dem Montrealer Designer Jean Beaudoin schuf er ein pulsierendes Lichtspektakel. Einige Gebäude werden mit Videoprojektionen und künstlerischen Lichtinstallationen bespielt. Inzwischen ist aus der einstigen Aktion für mehr Attraktivität ein riesiges, interaktives Projekt mit experimentellem Charakter entstanden.

Wenn es zum Ort passt, dürfen Baurs Arbeiten auch einen bewusst provisorischen und unperfekten Charakter haben: gerne verwendet er herkömmliche, kostengünstige Materialien wie Euro-Paletten oder Betonröhren. Für die viel beachtete Schweizer Expo.02, die 2002 im Schweizer Dreiseenland stattfand, gestaltete Baur mit seinem Team ein Leitsystem durch das riesige Ausstellungsgelände. Die Wegweiser bestanden aus von Hand gezeichneten Piktogrammen und wurden auf Straßenschildern aufgebracht, die in Gruppen aufgestellt wurden. Auch Flatterbänder, die um Bäume oder Gerüste gewickelt wurden, kamen zum Einsatz. Zu einer temporären Ausstellung könnte nichts besser passen als ein – wenn auch sehr durchdachtes – Provisorium. Gleichzeitig ist die Signaletik ein Kontrast zu der hoch technisierten und perfekten Leistungsschau.

Auch Denkmale gehören zum Repertoire des Kommunikationsdesigners. Dazu zählt das erste Denkmal für Deserteure der Wehrmacht aus dem Jahr 2009 in Köln. Ein Baldachin aus bunten Buchstaben ist an einer Stahlkonstruktion befestigt. Die Textkette erlaubt den Durchblick nach oben, wer den Text lesen will, muss sich unter die Pergola stellen und in den Himmel schauen. Das Denkmal verzichtet auf die üblichen Pathosformeln und konzentriert sich auf das Geschriebene.

Abschließend sprach Baur über den Entwurf der Signaletik für das Campusgebäude der renommierten The New School in Manhattan. Das 17-stöckige Hochhaus sollte mit einer Schrift ausgestattet werden, die sowohl zweidimensional als auch dreidimensional funktioniert und zudem die Identität des Hauses prägen sollte. Baur entwickelte eigens hierfür einen neuen Font, indem er einen sehr dünnen und einen sehr dicken Schriftschnitt sich überlappen ließ, so dass ein dreidimensionaler Eindruck entsteht. Als Textgrundlage verwendete Baur die Namen der Kurse, die seit 1919, der Gründung der progressiven Schule abgehalten wurden.

Egal, was Baur anpackt, wichtig ist ihm die Haltung im Geschriebenen. Er versteht seine Arbeit als Teil einer räumlichen und urbanen Inszenierung. Sein erklärtes Ziel sei es, Orte zu schaffen, an denen man gerne verweilt. Die Herausforderung besteht für ihn darin, unschöne Orte zu „reparieren“, anstatt schöne Orte noch schöner zu machen.

Ruedi Baur, Intégral Ruedi Baur | Zürich / Paris
Intégral Ruedi Baur besteht aus zwei interdisziplinär besetzten Büros in Zürich und Paris. Die Schwerpunkte liegen auf Kommunikationsdesign wie Corporate Identity, Orientierungssystemen und Informationsprogrammen. Auch Parkplätze, Stadtmöblierungen und die Umgestaltung ganzer Stadtteile.
Lehraufträge: Ecole des Beaux Arts in Lyon, Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig (Rektor von 1997-2000), Gründer des Forschungsstituts Design2context an der der Zürcher Hochschule der Künste. Darüber hinaus Lehraufträge an der École nationale supérieure des Arts Décoratifs in Paris und an verschiedenen Hochschulen in China und Quebec.