• Onkologisches Ambulanzzentrum Rotterdam © kopvol
  • Prinses Maxima Zentrum für Kinderonkologie Utrecht  © kopvol

Die Erkrankung des Raumes

kopvol architecture & psychology l Rotterdam

kopvol architecture & psychology ist ein deutsch-niederländisches Forschungs- und Entwurfsbüro, das seit 2008 erfolgreich die Disziplinen Psychologie und Architektur kombiniert. Schwerpunkt dieser Kombination ist die intellektuelle und räumlich-entwerfende Auseinandersetzung mit Wahrnehmungsveränderungen des Menschen, die seine Ansprüche an Architektur neu definieren. Obwohl die Gründerinnen Koppen & Vollmer den Marketing-Begriff „Heilende Architektur“ konsequent kritisieren, benutzen die Medien gerade diesen, um ihre Entwürfe zu beschreiben.
Für die Neue Kinder-und Jugendklinik Freiburg entwickelte kopvol 2013 ein qualitatives Raumkonzept.

"Eingemauert sind meine Gedanken": Die Erkrankung des Raumes

Eine Psychologin und eine Architektin erklären, wie sich bei kranken Menschen die Wahrnehmung des Raumes verändert – und wie die Architektur darauf reagieren kann

von Gisela Graf, Freiburg | gisela graf communications

Niemand betritt gerne ein Krankenhaus, wenn er nicht muss. Der Geruch nach Desinfektionsmitteln, gemischt mit Kohl oder gekochtem Fisch, endlose öde Flure, triste Treppenhäuser, dunkle Warteräume: Wohlfühlarchitektur ist anders. Und wenn sich schon Gesunde unbehaglich fühlen, wie ergeht es dann erst den Kranken?

Die Psychologin Tanja Vollmer und die Architektin Gemma Koppen von kopvol architecture and psychology aus Rotterdam erklärten an diesem Abend einfühlsam und zugleich wissenschaftlich fundiert die Veränderungen, die in einem Menschen vorgehen, wenn sich plötzlich alles um den schwer kranken Körper dreht. Ein enormer Stress entsteht, extremste, auch widersprüchliche Gefühle brechen aus. Wie kann die Architektur darauf reagieren?

Krankenhausräume sind oft Stressfaktoren
Manchmal bewirken einfache Dinge sehr viel. Bei einem Diagnose-Gespräch zum Beispiel ist die Konzentrationsfähigkeit des Patienten vermindert, die Angst dominiert. Bereits ein Raum mit Fenster und Ausblick erleichtert es ihm, sich besser auf die Botschaft zu konzentrieren, die Angst zu lindern. Studien haben gezeigt, dass große Fenster und der Blick ins Weite Patienten helfen, leichter und schneller zu genesen. Es wäre jedoch vermessen zu glauben, Räume könnten heilen. Aber sie können helfen, die Not der Patienten zu lindern und die Therapie zu unterstützen – vor allem aber sollten sie nicht als zusätzliche Stressoren belasten, betonen Koppen und Vollmer.
Kranke empfinden die Raumtemperatur deutlich kälter, Geräusche, Gerüche und auch der umgebende Raum werden intensiver wahrgenommen. Zudem verliert ein Mensch mit der schweren Erkrankung schlagartig seine Orientierung, seine Perspektive, seinen Schutz. Er wird verletzlich und hat keine Entscheidungsfreiheit mehr. Er verliert überlebenswichtige, bislang mehr oder weniger selbstverständliche Eigenschaften, mit denen wir unser tägliches Leben meistern: Selbstbewusstsein, Autonomie, Normalität, Kontrolle und Antrieb. An ihre Stelle treten nun Angst, Depression, Hoffnungslosigkeit oder Einsamkeit. Paradoxe Gefühle entstehen, wie etwa die gleichzeitige Sehnsucht nach Weite und höhliger Geborgenheit, der Wunsch nach Alleinesein und zugleich nach menschlicher Wärme. Eine Herausforderung für die Architektur im Krankenhausbau, so das Duo kopvol Koppen und Vollmer!

“Wenn der Körper erkrankt, erkrankt der Raum mit ihm“
Während sich die körperlichen und psychischen Empfindungen noch nachvollziehen lassen, ist es schwerer, sich die veränderte Wahrnehmung des Raumes vorzustellen. Der menschliche Geist ist fähig, Raum zu erfühlen und zu verformen, sogar mit Extensionen: Ein hoher Hut oder sogar ein Auto werden automatisch in die Raumwahrnehmung integriert. Weil der Körper nun klein und schutzbedürftig wird, verändern sich für ihn auch die Raumproportionen. Koppen und Vollmer kommen zu dem Schluss: Wenn der Körper erkrankt, erkrankt der Raum mit ihm.

Mit solchen Erkenntnissen im Hintergrund haben die beiden Forscherinnen Räume neu betrachtet, Raumprogramme und Raumordnungen komplett auseinandergenommen und neu zusammengefügt. Sie sind damit auf ganz neue Typologien gekommen. So haben sie etwa den Prototyp einer onkologischen Poliklinik entwickelt, der außen in zwei gegensätzliche Teile getrennt ist: in einen gewohnt orthogonalen, funktionalen und in einen organisch wirkenden Teil. Im Inneren fließen diese beiden Bereiche ineinander. Die Architektur spiegelt so ambivalente Empfindungen: etwa das Bedürfnis nach kompetenter Hilfe und die Identifikation mit dem kranken und entfremdeten Körper.

Raumentwicklung für Kinderonkologie in Utrecht
Ein ganz besonderes Projekt, das in seiner Neuartigkeit sehr viel Unterstützung gefunden hat, ist die Entwicklung einer zentralen Kinderonkologie für die Niederlande. Seit man weiß, dass die Trennung von den Eltern für ein krankes Kind traumatisierend ist, ist es seit den 1970er Jahren Standard, dass sie bei ihren Kindern im Krankenzimmer übernachten können. Eng gestapelte Klappbetten, fehlende Rückzugsräume, weder für die besorgten Eltern noch für das kranke Kind, sind heute oft die beklemmende Realität. Koppen und Vollmer haben für dieses Utrechter Projekt Räume entwickelt, die verschiedene Zonen anbieten: ein Bereich für die Pflege und jeweils private Zonen für das Kind und für das Elternteil. Diese Aufteilung muss flexibel sein: sie soll, je nach Bedürfnis, Zusammensein und Rückzug ermöglichen. Getrennte Bäder, um auf den für die Genesung wichtigen Schlaf Rücksicht zu nehmen oder eine altersgerechte Gestaltung des Raums sind weitere Elemente, die dazu beitragen können, das Leben der kleinen Patienten und ihrer Eltern in der Klinik zu erleichtern.

Konzeption für die Kinderklinik in Freiburg
Das Utrechter Modell spielt auch für Freiburg eine große Rolle. Die Universitäts-Kinderklinik ist in die Jahre gekommen und platzt aus allen Nähten. Ärzte haben 2012 den Förderverein „Initiative für unsere Kinderklinik“ gegründet, der sich für eine zentrale Kinder- und Jugendklinik in Freiburg einsetzt und für ihre Finanzierung kämpft. Für die Entwicklung qualitativer Raumkriterien und die konzeptionelle Unterstützung wurden Tanja Vollmer und Gemma Koppen ins Boot geholt. Sollen nun Krankenzimmer zu Wellness-Suiten umgebaut werden? Was Koppen und Vollmer vortragen, basiert auf wissenschaftlichen Erkenntnissen der Psychologie und hat nichts mit Luxus oder „hübsch machen“ zu tun. Ganz klar trifft dies der Leitsatz der Freiburger Initiative: „Patientenorientierung ist kein Luxus, sondern Versorgungsauftrag“.

kopvol architecture & psychology | Rotterdam

Das Rotterdamer Forschungs- und Entwurfsbüro kopvol architecture & psychology, 2008 von Gemma Koppen und Tanja Vollmer gegründet, kombiniert erfolgreich die Disziplinen Psychologie und Architektur. Schwerpunkt dieser Kombination ist die intellektuelle und räumlich-entwerfende Auseinandersetzung mit Wahrnehmungsveränderungen des Menschen, die seine Ansprüche an Architektur neu definieren. Das Büro berät Architekten und Bauherren bei der Entwicklung von Krankenhäusern und Gesundheitsbauten. Für die Neue Kinder- und Jugendklinik Freiburg entwickelte kopvol 2013 ein qualitatives Raumkonzept.

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