• Superkilen Kopenhagen © Iwan Baan

Personal Public Space

TOPOTEK 1 Gesellschaft von Landschaftsarchitekten mbh | Berlin

Martin Rein-Cano

Das Büro TOPOTEK 1, 1996 in Berlin gegründet, versteht sich als Wanderer in den Grenzbereichen verschiedener Genres, Typologien und Maßstäbe, verwurzelt in der Gestaltung urbaner Freiräume und städtebaulicher Themen.
TOPOTEK 1 setzt sich mit dem öffentlichen Raum und der Stadt als Ausdruck für die Visionen und Taten der Gesellschaft auseinander.
2011 erhielt TOPOTEK 1 Anerkennungen im Rahmen des Deutschen Landschaftsarchitekturpreises für die Sportanlage Heerenschürli in Zürich sowie 2012 für Superkilen Kopenhagen.

Personal Public Space – Das Private ist öffentlich, das Öffentliche privat

Martin Rein-Cano von TOPOTEK 1 über das preisgekrönte Projekt „Superkilen“ und seine Philosophie von Ort und Raum

von Gisela Graf, Freiburg | gisela graf communications

In diesem Werkbericht des Berliner Landschaftsarchitekturbüros TOPOTEK 1 präsentierte Martin Rein-Cano nur ein einziges Projekt. Doch das ist so vielschichtig und voller Querbezüge, dass es ein abendfüllender Parcours de Force durch die Kulturgeschichte war.

Zunächst einmal verblüffte Rein-Cano seine Zuhörer mit Ausflügen in die Gartengeschichte: so etwa in den ersten Garten der Welt – das biblische Paradies –, zu den bukolischen Szenen der Maler Claude Lorrain und Nicholas Poussin im 17. Jahrhundert oder in die romantisch verwilderten Landschaftsgärten im England des 19. Jahrhunderts. Wir erfahren, dass auch das Paradies seine Brüche hat und die arkadischen Landschaften, die Claude Lorrain malte, eigentlich Musterbilder waren, nach denen Bauherren einzelne Versatzstücke für ihren Garten auswählen konnten. Der englische Landschaftsgarten sei alles andere als Natur, sondern vielmehr die Inszenierung dessen, wie man sich die Natur wünschte, so Rein-Cano. Die Pflanzen wurden dazu oft aus fremden Kulturen und Klimata importiert. Das Bild, das wir uns von der Natur machen, ist also nur ein Ideal. Und Bilder wiederum erschaffen das, was wir für Realität halten. So kreisten die Themen des Vortrags weiter um Identitäten, erzählerische Szenografien der Landschaft und die Bewegung im Raum, sowie um die Aufhebung der Grenzen von privat und öffentlich, von Realität und Abbild.

Doch was hat all das mit einem Platz in Kopenhagen zu tun, der 2012 fertig gestellt wurde? „Superkilen“ (=Superkeil) war ursprünglich ein öder Durchgangsraum im nordwestlichen Zentrum Kopenhagens, der sich wie eine Schneise durch ein sozial benachteiligtes Viertel im Stadtteil Nørrebro zog. Dieses dicht bebaute Quartier ist von ethnischer Vielfalt geprägt: Menschen aus 62 Nationen leben dort. Zusammen mit dem dänischen Architekturbüro BIG und der Künstlergruppe SUPERFLEX wurde TOPOTEK 1 beauftragt, den 2,7 Hektar großen, langgestreckten Platz zu gestalten und zu einem lebenswerten Ort zu machen. Die Projektleiter suchten die Anwohner auf und erarbeiteten mit ihnen in Workshops und Gesprächen ihre Bedürfnisse. Sie baten sie, Objekte vorzuschlagen, die sie aus ihrer Heimat kennen und die ihnen etwas bedeuten. Das Team hat diese Vorschläge aufgegriffen, künstlerisch bearbeitet und verfremdet. Nun finden sich auf dem Platz etwa eine brasilianische Telefonzelle, Musikboxen aus Jamaica, ein marokkanischer Brunnen und eine japanische Kletter-Krake für Kinder. Auch Werbetafeln und Leuchtreklamen durften teilnehmen: Das Werbeschild eines Zahnarztes aus Qatar – der Stolz der ganzen Familie – mit einem Zahn im Halbmond wurde auf einem Pfeiler neben anderen Reklameschildern aufgestellt. Chinesische Palmen oder eine Bushaltestelle aus Kasachstan mögen fremd wirken: für die Bewohner sind sie Objekte der Identifikation. Das ist wiederum ein Querverweis auf die Kulturgeschichte: wir erinnern uns, dass auch ein englischer Landschaftsgarten nur das Abbild einer gedachten Realität ist – inklusive der importierten Pflanzen.

Apps und Beschriftungen erklären die Objekte und ihre Herkunft – wie in einem botanischen Garten oder einer Ausstellung. Doch das aktive Nutzen der Objekte ist ausdrücklich erwünscht: am argentinischen Grill darf gegrillt werden, die Musikboxen dürfen dröhnen, der Thai-Boxring ist zum Boxen da. Anstatt Lärm oder Gewalt zu verbieten, sollen sie in einem bestimmten Rahmen zugelassen werden: dies sind Strategien zur Problemkultivierung statt zur Problemlösung. So gelingt Integration. Dass dies funktioniert, zeigt die lebhafte Nutzung: auf Superkilen ist immer etwas los.

Der Keil selbst ist in drei Zonen eingeteilt: eine rote Zone für die körperlichen Aktivitäten, eine schwarze, auf dem unter anderem ein Markt stattfindet – eine Anspielung auf den vorher an dieser Stelle vorhandenen Schwarzmarkt – und eine grüne Zone mit Hügeln, Spiel-, Grill- und Sportplätzen zur Erholung. Das Anliegen von Superkilen ist, dass die Menschen die Stadt wie die Natur benutzen. Gerade die sozial Schwächeren leben oft in beengten Verhältnissen. Sie sind viel mehr auf Außenräume angewiesen, weil sie sich dort mehr aufhalten. Superkilen ist zu einem vergrößerten Wohnzimmer, einer Art Sozialraum geworden, in dem sich alle treffen und mit dem alle etwas anfangen können. Der öffentliche Raum wird für jeden Einzelnen zu einem privaten Raum.

Martin Rein-Cano, TOPOTEC 1 / Berlin
Das Büro TOPOTEK 1, 1996 in Berlin gegründet, versteht sich als Wanderer in den Grenzbereichen verschiedener Genres, Typologien und Maßstäbe, verwurzelt in der Gestaltung urbaner Freiräume und städtebaulicher Themen. TOPOTEK 1 setzt sich mit dem öffentlichen Raum und der Stadt als Ausdruck für die Visionen und Taten der Gesellschaft auseinander.
2011 erhielt TOPOTEK 1 Anerkennungen im Rahmen des Deutschen Landschaftsarchitekturpreises für die Sportanlage Heerenschürli in Zürich sowie 2012 für Superkilen Kopenhagen.

TOPOTEK 1 Gesellschaft von Landschaftsarchitekten mbh | Berlin
www.topotek1.de