• © Andreas Böhringer

Zürich

Tagesexkursion

Zürich wurde durch die rasante Modernisierung seit Mitte der 1990er Jahre zu einer pulsierenden Metropole, der die städtische Tourismusorganisation den Slogan «Downtown Switzerland» verpasste. Seither findet die Stadtplanung Zürichs international Anerkennung.

Wir besichtigen unter anderem die Entwicklungsgebiete Zürich-West und Europaallee. Außerdem stehen wegweisende Wohnungsbauten auf dem Programm.

Hitzefrei!

Hochsommer-Exkursion nach Zürich – inklusive Fußbad-Führung

von Gisela Graf, Freiburg | gisela graf communications

Die traditionelle Sommer-Exkursion führte das Architekturforum am 3. Juli 2015 bei tropischen Temperaturen nach Zürich. Schon beim Start im Morgengrauen war den knapp 30 Teilnehmern klar: trotz Büroflucht konnte von Sommerfrische an diesem Tag keine Rede sein – auch wenn das Quecksilber in Zürich nicht ganz so hoch klettern sollte wie in Freiburg. Und auf dem Programm stand schließlich nicht die Badi am Zürichsee, sondern Urbanität vom Feinsten. Was kleine Wasserschlachten und lustige Rutschpartien nicht ausschloss.

Erster Programmpunkt war das Gewerbegebäude NOERD mit Führung durch die Produktionsstätte der Freitag-Taschen und der Event- und Ausstellungsagentur aroma. Anschließend ging es zur Kalkbreite, dessen Konzept der Wohnungsbaugenossenschaft eines der am meisten publizierten Wohnungsbauprojekte der letzten Jahre war. Vorbei an den mit Geschäften neu ausgebauten Viaduktbögen, wanderte die Gruppe über den Pfingstweidpark zum riesigen Toni Areal, dem Gelände einer ehemaligen Molkerei, das heute die Zürcher Hochschule für Gestaltung beherbergt.

Das NOERD - ein Akronym, das sich auf die Lage im Stadtteil Oerlikon im Norden Zürichs und auf die Nutzer, nämlich vorwiegend Nerds, anspielt - ist ein Gewerbebau, der vor allem kostengünstig, flexibel nutzbar und nachhaltig sein musste. Die für ihr ressourcenarmes Bauen bekannten Architekten Beat Rothen Architektur machten die scheinbare Not zur Tugend und haben damit den Wettbewerb und nebenbei auch einige Nachhaltigkeitspreise gewonnen. "Wir glauben an den Charme des Einfachen, des Alltäglichen" leitete Beat Rothen seine Führung durch den Bau ein. Für den einfachen Beton wurde absichtlich die günstigste Beschichtung gewählt, Türen aus gelb chromatiertem Blech, oder Maschendraht und andere sichtbare Industrieprodukte machen den Charme des Gebäudes aus – samt Abnutzungsspuren. Als außergewöhnlich im Entwurfsprozess hob der Architekt die Zusammenarbeit und gegenseitige Inspiration mit den Nutzern hervor, die 80 % des Gebäudes einnehmen und selbst kreative Berufe haben: die Ausstellungsplaner und Szenografen von aroma und die Brüder Freitag, jeweils mit Büro, Lager und teilweise Produktionsstätten. Besonders originell bei aroma: eine spiralförmige Rutschbahn, die von den Büros hinunter in die Lagerhalle führt. Eigentlich fürs schnelle Transportieren gedacht, wird diese gerne von den Mitarbeitern als Abkürzung genutzt. In kleineren Varianten sollten solche Rutschen noch öfter zu finden sein – sie wurden neben Dachterrassen und Wasserspielen zum (G)Leitgedanken des Tages.

Nach einer kleinen Pause in der Kantine auf dem hübschen Dachgarten brach die Gruppe zur Kalkbreite auf. Bereits im Februar hatte Samuel Thoma von Müller Sigrist Architekten im Architekturforum das Projekt vorgestellt. Nun konnte man sich von diesem neuen „Stück Stadt in Zürich“ (so die Schweizer Bauzeitung tec21) vor Ort überzeugen, der nicht zuletzt wegen seiner Struktur und der genossenschaftlichen Organisation mit ihren eigenen Regeln so bezeichnet wurde. Die Dachterrasse mit Blick über Zürich begeisterte die Gruppe ebenso wie unten im Innenhof der Brunnen mit dem erfrischenden Nass – zu dem man auch über eine Rutschbahn gelangen konnte. Erste Anzeichen von hitzebedingter Ermüdung waren erkennbar, sodass es wohl tat, anschließend die Viaduktbögen entlang zu streifen und die Mittagspause in einem der Restaurants oder auf der schattigen Josefswiese zu genießen.

Erfrischt und gestärkt ging es über den gerade frisch angelegten Pfingstweidpark zum Toni-Areal. Ersterer ist ein ehemaliges Industriegebiet im Westen Zürichs und besteht aus dem neuen, noch etwas leer und leblos wirkenden Wohnareal (Hotel und Luxuswohnungen mit Bauten von u.a. Gigon Guyerr, Roger Diener und Meili Peter) sowie dem von Dominique Ghiggi (Antón & Ghiggi) liebenswürdig vorgestellten Park. Dieser liegt tiefer als die vormals aufgeschüttete Umgebung auf dem Niveau der historischen Viehweiden unter einem Eichenmischwald. Damit nahmen die Landschaftsarchitektinnen das Motiv des englischen Parktyps eines "sunken garden" auf. Die Ränder mit ihren terrassierten, geschwungenen Böschungen und den fließenden Formen begeisterte alle wegen der liebevollen Details, inklusive einer kleinen Rutsche. Die wieder neu gepflanzten Eichen im Herzen des Parks waren noch zu klein, um den ersehnten Schatten zu spenden, doch im flachen Wasser des Brunnens watend ließ es sich wunderbar den Erklärungen von Dominique Ghiggi zuhören. Ein kleiner Ersatz für den nicht gesehenen Zürichsee und mit Sicherheit die erste Fußbad-Führung in der Geschichte des Architekturforums.

Die ehemalige Toni-Molkerei direkt nebenan, nach der ETH und der Universität das dritte Hochschulzentrum, beherbergt heute die Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK). Diese riesige Fabrik, 1977 die modernste Molkerei Europas, wurde schon 1999 wieder geschlossen. Nach dem Umbau durch EM2N bietet sie seit September 2014 Raum für 5.000 Studierende und Lehrende. Dazu kommen Mietwohnungen in den oberen Etagen. In diesem Komplex von der Größe einer Kleinstadt finden die Studierenden der kreativen Berufe Freie Kunst und Gestaltung, Theater und Musik ideale Lernbedingungen vor. Die Ateliers, Werkstätten, Tonstudios, Konzert- und Proberäume sowie die Bibliothek verfügen über eine traumhafte Ausstattung: Eine Dreiviertelmilliarde Franken wurden hier insgesamt verbaut. Besonders prächtig ist der wildromantische Dachgarten mit einem schönen Blick über Zürich, hinüber zur alten Universität.

Erschöpft und voller Eindrücke wendete man sich schließlich dem Heimweg zu, nicht ohne vorher den Freitag-Flagship Store und eine Stärkung in Frau Gerolds Garten, ein Zwischennutzungsprojekt im Industrieviertel mit Restaurant, Bar und Urban-Gardening, einzunehmen.