Mies' Bilder
Dr. Lutz Robbers l Architekturtheorie RWTH Aachen
„Ed io anche son pittore“ („Auch ich bin ein Maler“) schrieb einst der Architekt Étienne-Louis Boullée und unterstreicht damit eine Tatsache, der wir uns selten bewusst werden: Architektur ist immer zugleich Bau und Bild. Bevor Architektur gebaut wird, existiert sie als Bild. Architekten sind weniger Baumeister als Bildproduzenten. Sie machen Skizzen, technische Zeichnungen, perspektivische Ansichten, fotografische bzw. kinematografische Aufnahmen, computergenerierte Animationen. Sie verwenden bildgenerierende Werkzeuge wie Bleistift, Kamera oder rechnerbasierte Visualisationsprogramme. Gleichzeitig verwandeln sich architektonische Objekte wieder in Bilder, sobald sie in historische und theoretische Diskurse verwandelt werden. Architektonische Praxis ist ein Gefüge von Bildprozessen.
Am Beispiel von Ludwig Mies van der Rohe Bildproduktion wird Dr. Lutz Robbers aufzeigen, dass architektonische Bilder sich von anderen Bildgattungen unterscheiden und sie gerade deshalb mithelfen, einen verengten Bildbegriff aufzubrechen.
In Kooperation mit E-WERK Freiburg im Rahmen der Ausstellung Ways of Looking / Rahmen und Rahmungen zwischen digital und analog
Sa l 05.03 - So l 10.04.2016
Baumeister oder Bildproduzenten?
Lutz Robbers von der RWTH Aachen über den Einzug des Films in die Architektur am Beispiel von Mies van der Rohes Bildproduktion
von Gisela Graf, Freiburg | gisela graf communications
Architekten sind es gewohnt, in Räumen zu denken. Doch ist Architektur zugleich auch immer Bild. Der Architekturtheoretiker Lutz Robbers behauptet sogar, Architekten seien weniger Baumeister als Bildproduzenten – eine herausfordernde These, die viele Freiburger Architekten veranlasste, den Vortrag des Gastes aus Aachen im E-Werk zu besuchen. Sie ließen sich inspirieren von einer Mischung aus interdisziplinärer Vorlesung, die zwischen Architektur- Kunst- und Filmtheorie oszillierte, und einer Einladung zur Imagination am Beispiel von Ludwig Mies van der Rohes Bildproduktion. In diesem gerafften Vortrag entfaltete Robbers das Panorama einer Zeit, in der das bewegte Bild in die Architektur einzog.
Eines zum besseren Verständnis vorneweg: Robbers will „Bilder als handlungsmächtige Akteure begreifen, die teilhaben an einem Gestaltungsprozess und an Prozessen der Wissensbildung“. Doch wie kann ein Bild zum Akteur werden? Bilder sind Vehikel, die Gedanken und Wissen transportieren. Sie nehmen Einfluss auf unser Denken und Fühlen und somit auf das, was wir selbst gestalten, entwickeln oder produzieren. Das Subjekt als autonom-schöpferische Kraft, wie es das Menschenbild seit der Renaissance will, ist eigentlich nur ein Ideal.
„Dieser Grundriss ist sinnlich lesbar, ist keine mathematische Abstraktion“ kommentierte der Dada-Künstler und Pionier des abstrakten Films Hans Richter im Jahr 1925 Mies‘ berühmten Grundriss für das „Landhaus aus Backstein“ (1923). Dieses Zitat nimmt Robbers als Ausgangspunkt: Richter erkannte, dass der Grundriss anders als andere gelesen werden muss und dass er sich von bisherigen Darstellungskonventionen unterscheidet. Woher kommt das?
Richter und Mies begegneten sich in den frühen zwanziger Jahren, also in einer Zeit, in der Film und Bewegung, Technik und Apparaturen eine gewisse Experimentierfreude auslösten, und in der Fragen der Gestaltung und die Suche nach der guten Form ein Lebensentwurf waren. Richter war selbst einer der Protagonisten. Er gründete die technikbegeisterte Avantgarde-Zeitschrift „G – Material zur elementaren Gestaltung“, die in sechs Ausgaben in den Jahren 1923/1924 erschien. Mies van der Rohe war als Autor und Redakteur aktiv beteiligt und gestaltete das Titelblatt der dritten Ausgabe, zu der auch der Filmtheoretiker Siegfried Kracauer und der Philosoph Walter Benjamin beitrugen. Mies gehörte in dieser Zeit sogar dem Vorstand der „Deutschen Liga für unabhängigen Film“ an – er war also in Filmkreisen aktiv und war mit den Diskursen vertraut. Auch viele andere Architekten beschäftigten sich mit dem jungen Medium. Le Corbusier zum Beispiel produzierte selbst Filme, um für seine Architektur zu werben und integrierte Apparate wie Projektoren oder Periskope in seine Bauten, um die Bildwirkung des Ausblicks zu manipulieren.
Anders als diese, scheint Mies jedoch die Formensprache des Films direkt in seine Entwürfe integriert zu haben: er hat das Bildwissen, das er aus dem Film gewann, in seine Architektursprache übersetzt. Architektur wird für ihn ein Spiel mit Lichtverhältnissen – wie er selbst in Bruno Tauts Zeitschrift „Frühlicht“ mit Blick auf das gläserne Bürohochhaus in der Berliner Friedrichstraße bemerkt, er wolle Lichtbrechungen und -reflexe durch die Fassade rhythmisieren.
Deutlich wird dies besonders am Weltausstellungs-Pavillon in Barcelona von 1929 – unbestritten ein Schlüsselbau der Moderne. Der offene Grundriss erlaubt, dass die Wände aus nicht tragenden Materialien wie Glas – oder in diesem Fall auch aus Onyx – bestehen. Kaum bekannt ist, dass der Pavillon auch bei Nacht besucht wurde und sich dann die Glaswand im Innern in eine Lichtwand verwandelte. Die erlebnishungrigen und erwartungsvollen Besucher durchschritten eine Promenade wie zu einem Palast– um dann am Ende der Inszenierung im Inneren vor einer leuchtenden Wand standen, in der sie sich und andere nur als Silhouetten erkennen konnten: die Wand war eine halbtransparente Membran, die die Menschen als Scherenschnitte präsentierte. Es gab Beschwerden, dass sich die Besucher hier „psychologisch unwohl“ fühlten.
Auch in den Miesschen Montagen und Entwurfszeichnungen finden sich solche Versatzstücke aus dem Film: in dem erwähnten Hochhaus-Entwurf Berlin-Friedrichstraße erscheinen Menschen als verwischte Schatten, obwohl die fotografische Technik es bereits erlaubte, Menschen in Bewegung präzise darzustellen. Auch in anderen Entwürfen finden sich Elemente, die von einer filmischen Wahrnehmung herrühren: warum so starke Licht- und Schatteneffekte und verwischte Flächen im Bürohaus-Entwurf von 1923, oder warum enthält der Masterplan der Weißenhofsiedlung unnötige schwarze Balken, die an Richters Filme erinnern?
Mies ließ sich nach Robbers vom Film inspirieren und hatte dadurch ein anderes Bildverständnis als seine Kollegen. Er nimmt Abschied von der Vorstellung, dass ein zweidimensionaler Plan wie etwa ein Grundriss lediglich die „Vorstufe oder Erfüllungshilfe für einen kreativen Entwurfswillen“ sei, so Robbers. Auch heute, im digitalen Zeitalter, erstellen Architekten Skizzen, technische Zeichnungen, perspektivische Ansichten, fotografische bzw. kinematografische Aufnahmen, computergenerierte Animationen. Sie benutzen bildgenerierende Werkzeuge vom Bleistift bis zu CAD und greifen dabei auf ihr Bildwissen zurück. Architektonische Praxis ist nach wie vor ein Gefüge von Bildprozessen, und immer noch bewegen sich Architekten, wenn sie zeichnen, im Spannungsfeld zwischen Bildraum und Architekturraum.
Dr. Lutz Robbers l Architekturtheorie RWTH Aachen
Der Vortrag von Lutz Robbers fand in Kooperation mit dem E-WERK Freiburg im Rahmen der Ausstellung „Ways of Looking / Rahmen und Rahmungen zwischen digital und analog“ statt, die anhand von Fenster und Rahmen aktuelle Blickweisen verhandelte. Der Kulturwissenschaftler und Architekturhistoriker Lutz Robbers lehrt und forscht an der RWTH Aachen. Derzeit arbeitet er an einem Forschungsprojekt über die Beziehung von Hans Richter und Mies van der Rohe als Fallstudie für eine theoretische Bewertung der Interferenzen zwischen Architektur und Film.