• San Gimignano Brandlhuber © Erica Overmeer
  • Bukini Tempelhof 2015 Montage © Cornelia Müller | The dialogic city
  • Vierrichtungsmodul Brandlhuber_Emde_Burlon © Ponnie Images

Vom Zuzug lernen

Brandlhuber+ architekten und stadtplaner l Berlin

Prof. Arno Brandlhuber

Deutschland habe kein Flüchtlingsproblem, sondern ein Wohnungsproblem, meint Arno Brandlhuber. Der Zuzug rückt nur stärker ins Bewusstsein, was ohnehin fehlt: bezahlbarer Wohnraum. Er sieht die Herausforderung als Chance, umzudenken. Denn man kann viel günstiger bauen, ohne schlechter zu wohnen: Brandlhuber+ saniert, was andere längst abgerissen hätten und baut Wohnungen für 1.000 Euro pro Quadratmeter – mit günstigen Materialien und in Modulbauweise.

Arno Brandlhuber ist Architekt und Hochschullehrer in Berlin und Nürnberg. Seine Beteiligung am stadtentwicklungspolitischen Diskurs wird weit über das Feld der Architektur und Stadtplanung hinaus wahrgenommen.

Eine Veranstaltung in Kooperation mit Siedle.

Architektur ohne Grenzen

Wie wir vom Zuzug lernen können: Arno Brandlhuber zu Gast in Freiburg

von Gisela Graf, Freiburg | gisela graf communications

Deutschland habe kein Flüchtlingsproblem, sondern ein Wohnungsproblem, meint Arno Brandlhuber. Der Zuzug rücke nur stärker ins Bewusstsein, was ohnehin fehlt: bezahlbarer Wohnraum. Im vollen Veranstaltungssaal der neuen UB erklärte der Berliner Architekt, warum er die neue Herausforderung als Chance sieht, umzudenken – und wie man viel günstiger bauen kann, ohne schlechter zu wohnen.

Das Büro Brandlhuber+ saniert, was andere längst abgerissen hätten: das kann ein brutalistischer Betonbau, eine heruntergekommene Platte der 1970er Jahre oder eine ehemalige Unterwäschefabrik aus DDR-Zeiten wie die von der Kritik gefeierte „Antivilla“ bei Berlin sein. Den Bestand erhalten, günstige Materialien verwenden, Baustandards hinterfragen und mit Vorschriften spielen: so kommen am Ende Wohnungen für 1.000 Euro pro Quadratmeter heraus. Die Fassade seines Büros am Prenzlauer Berg besteht aus billigen Polycarbonatplatten, die Betonwände der Antivilla sind nicht gedämmt. Lediglich ein dünner, aber dichter Vorhang sorgt für Temperaturausgleich. Das konnte er auch den Behörden nachweisen. Der ästhetische Effekt: der Vorhang macht den Raum flexibel und sorgt für einen angenehmen Raumeindruck.

Der Architekt, der weniger reale Gebäude als vielmehr gewiefte Gedanken-Gebilde baut, bringt seine Ideen mit Ausstellungen und Publikationen, Forschungsarbeiten und Lehrtätigkeiten in den öffentlichen Diskurs ein. Er interessiert sich für soziale Verhältnisse und denkt sich mit großer Freude in die komplexen Gefilde der Gesetze und der Politik hinein. Dass die Gesetzgebung maßgeblichen Einfluss auf die Architektur hat, bekommt jeder Architekt fast täglich zu spüren. Doch Brandlhuber sieht Regeln und Satzungen nicht als restriktiv, sondern lediglich als Diskussionsgrundlage. Er sucht Dialog und Teilhabe und nach intelligenten Wegen zwischen Entweder und Oder. Für die Nachnutzung des Flughafens Tempelhof etwa hat Brandlhuber einen zugleich radikalen und vermittelnden Vorschlag. Statt des zur Abstimmung vorgelegten Volksentscheids, ob das Tempelhofer Feld bebaut werden soll oder nicht, schlägt er vor, die Wohnungen auf das Flughafengebäude aufzubauen. Den Berlinern bliebe so ihre geliebte Freifläche und Wohnraum würde trotzdem geschaffen.

Auch für den sozialen Wohnungsbau hat Brandlhuber viele Ideen. Warum nicht auf Bestandsgebäude ein Penthaus bauen unter der Maßgabe, dass die gleiche Fläche darunter für 6,50 Euro pro Quadratmeter vermietet werden muss? Das ist keine Fantasterei, sondern ein Gesetzesvorschlag, der gerade in Berlin eingebracht wird nach Brandlhubers Motto: „Warum machen wir uns die Gesetze nicht selbst?“ Nach diesem Modell gewinnt man nicht nur günstigen Wohnraum, der ohne kommunale Förderung auskommt, sondern würde automatisch für mehr Heterogenität im Quartier sorgen. Wo Menschen verschiedener sozialer, kultureller, ethnischer oder religiöser Herkunft an einem Ort zusammen leben und arbeiten, sei dies eine Bereicherung. Damit drückte Brandlhuber auch Kritik an einer der Thesen von Doug Saunders aus, der die Vorlage für die Ausstellung im Deutschen Pavillon der Architekturbiennale 2016 lieferte. In der „Arrival City“, so Saunders, ermöglichen ethnisch homogene Viertel den Ankommenden Netzwerke. Das sei zunächst hilfreich, doch kann „Homogenität als Dauermodell keine Antwort sein“, wenn man Segregation und Gentrifizierung vermeiden will, hielt Brandlhuber in seinem klugen Vortrag dagegen.

Architektur wird bei Brandlhuber grenzenlos gedacht: es geht ihm um die Aufhebung von Grenzen in den Städten, von Gesetzen im Sinne von Restriktionen, von Grenzen im eigenen Kopf, und auch von Grenzen, die Menschen daran hindern, dort zu leben wo sie wollen. Und wenn, wie Brandlhuber meint, „Architektur das Ordnen von sozialen Beziehungen durch Gebautes“ ist, dann kommt Architekten eine hohe Verantwortung zu.

Arno Brandlhuber, Brandlhuber+ | Berlin

Arno Brandlhuber ist Architekt und Hochschullehrer in Berlin und Nürnberg. Seine Beteiligung am stadtentwicklungspolitischen Diskurs wird weit über das Feld der Architektur und Stadtplanung hinaus wahrgenommen. Mit „Legislating Architecture“ mischt er sich in Diskussionen ein, wie Verordnungen sein sollen, damit sie neue Ideen nicht blockieren, sondern anregen. Seine eigenen Bauprojekte macht er immer gleichzeitig zu Case Studies, in denen er bestimmte Aspekte des Bauens, die ihn interessieren, erforscht. Auf einem Grundstück beim Berliner Dong Xuang Center, einem vietnamesischen Großmarkt, testet er derzeit Prototypen für Flüchtlingswohnungen.

Brandlhuber+ architekten und stadtplaner l Berlin
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