• © Matthew Griffin
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Frizz23: Stadt ist Dialog

deadline | Berlin

Britta Jürgens und Matthew Griffin

Aus Berlins erstem Konzeptverfahren ist Deutschlands erste Baugemeinschaft für kulturelles Gewerbe entstanden. Entworfen nach dem Motto „Erst der Dialog, dann das Design“, setzt das Projekt neue Maßstäbe für nachhaltige, bedarfsgerechte Stadtentwicklung.

Matthew Griffin wird den Entstehungsprozess und die damit verbundene neue Rolle des Architekten beschreiben – von seinen Anfängen in der sich verändernden Liegenschaftspolitik über neue Vergabe- und Entwurfsverfahren bis hin zu der architektonischen Gestaltung.

Der anschließende Dialog erörtert mit Matthew Griffin, Prof. Dr. Rüdiger Engel, Leiter Projektgruppe Dietenbach und André Heuss, Bürgerbau AG die Perspektiven für Freiburg.

Die Selfmade-Stadt

Matthew Griffin und Britta Jürgens von Deadline Architekten in Berlin zeigen, wie man Stadt mitgestalten kann

von Gisela Graf, Freiburg | gisela graf communications

Das Projekt Frizz23 in Berlin-Kreuzberg – benannt nach der prominenten Friedrichstraße– darf sich als „die erste Baugruppe für kulturelles Gewerbe“ bezeichnen. Mitten in der Stadt, wo sonst Investoren ihre Immobilien zu Höchstpreisen vermarkten, entstand ein kleines Stück Stadt in Selbstverwaltung. Doch der Weg dorthin war steinig, wie Matthew Griffin und Britta Jürgens vom Architekturbüro Deadline im Literaturhaus Freiburg berichteten. Sie begleiteten das Projekt von Anfang an – oder genauer gesagt schon lange, bevor es überhaupt begann, denn ihm gingen Jahre der Verhandlungen und Gespräche voraus. „Erst der Dialog, dann das Design“ ist der Grundsatz, dem sich das Büro verschrieben hat.

Auf dem Gebiet rund um den ehemaligen Blumengroßmarkt (dort befinden sich das Jüdische Museum und inzwischen auch der taz-Neubau) vergab das Land Berlin im Jahr 2011 die brachliegenden Grundstücke zum ersten Mal nicht an die Meistbietenden, sondern in einem sogenannten Konzeptvergabeverfahren: Entscheidend für die Grundstücksvergabe war überwiegend die Nutzungsabsicht. Dass es überhaupt zu solch einem Verfahren kam, hatte eine 10 Jahre dauernde Vorgeschichte und war einigen engagierten Akteuren und glücklichen Umständen zu verdanken. Seit 2007 waren Griffin und Jürgens mit im Boot und erarbeiteten in Zusammenarbeit mit dem Senat und dem Bezirk Berlin sowie in unzähligen Gesprächen mit anderen Organisationen und der Nachbarschaft, was in diesem Quartier fehlt: kleinteiliges kulturelles Gewerbe wie Kunst, Kreativwirtschaft, Bildung, Gastronomie, Einzelhandel und Wohnen. Ihr Motto: „Kooperation statt Wettbewerb, Workshops statt Auktionen“. Mit ihrem Konzept konnte sich die Projektgruppe aus Selbstnutzern, Architekten und Investoren durchsetzen und im Januar 2014 das Grundstück kaufen. Insgesamt 16 Millionen Euro sollte das Bauprojekt inklusive Grundstück schließlich kosten.

Kleinteiliges Gewerbe bedeutet auch größtmögliche Differenz in der Architektur: Wie bekommt man all die unterschiedlichen Ansprüche vom Werkstattladen bis zum Seminarraum in ein Gebäude? Die Lösung fanden die Architekten in einem Stahlbetonskelett, dass im Innern eine größtmögliche Flexibilität erlaubt. Die von 28 bis 280 m² großen Einheiten sind alle individuell geplant. Nach außen wirkt das Gebäude mit seiner geschwärzten Holzfassade dagegen homogen und wie aus einem Guss: „Statt eine große Struktur nach außen kleinteilig wirken zu lassen, wie es Investoren oft tun, wirkt dieser Komplex wie eine Großstruktur, ist aber innen vielfältig“ erklärt Britta Jürgens.

Mit diesem Projekt ist eine Art Baugruppe 2.0 entstanden. Es hat als Modell für andere Städte viel Aufmerksamkeit erfahren – und ausgerechnet Freiburg, das als Geburtsstadt der Baugruppen gilt, holt sich nun Impulse aus Berlin. In der anschließenden Podiumsdiskussion, an der sich Prof.Rüdiger Engel, Leiter der Projektgruppe Dietenbach und André Heuss, Vorstand der Freiburger Bürger AG, beteiligten, zeigte sich, dass ein möglichst langfristig geplantes Vergabeverfahren und viele Gespräche im Vorfeld entscheidend sind. So dürften einige Ideen durchaus Anregungen für den neuen Stadtteil Dietenbach bieten. Ein Kritikpunkt, aus dem man vielleicht lernen könnte: nach 15 Jahren ist Frizz23 für den Markt freigegeben. Nachhaltiger wäre es wohl, wenn man zum Beispiel über ein Genossenschaftsmodell das Projekt dem Markt dauerhaft entziehen würde.

Matthew Griffin, Britta Jürgens, Deadline | Berlin

Britta Jürgens und Matthew Griffin gründeten das Büro Deadline 1992 und verstanden sich von Anfang als viel mehr als nur Architekten: sie betätigen sich als Projektentwickler, Koordinatoren, Moderatoren, Gründer von Initiativen ebenso wie als Investoren. Auch mit Frizz23 sind die Architekten selbst ins Risiko gegangen., betonte Matthew Griffin. Im Frizz23 befinden sich Werkstattläden für Fahrräder und Upcycling-Taschen, Seminarräume für die berufliche Weiterbildung, Wohnateliers für Kunstschaffende, Studios für Kreative aus Literatur, Szenografie, Musik und Comicszene, Coworkingräume, Büros für Architektur, Online-Dienstleistungen, Kommunikationsagenturen, Minilofts als Gastunterkünfte, ein Café, eine Projekthalle und eine kleine Gemeinschaftsgalerie. Alle Projektbeteiligten sind Nutzende und Investierende zugleich.

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www.deadline.de