• © Wulf Rüskamp
  • © Wulf Rüskamp
  • © Wulf Rüskamp

Freiburgs Wiederaufbau nach 1945: Auf den Spuren Joseph Schlippes

Dr. Wulf Rüskamp

In aktuellen Kurzbiographien werden die Verdienste des Stadtplaners Joseph Schlippe (1885-1970) um die Erhaltung des Freiburger Stadtbilds im Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg unkritisch gerühmt.
Doch was war sein Wiederaufbaukonzept, was ist davon realisiert worden und wie hat es das historische Stadtbild verändert? Was bedeutet es inhaltlich, dass Schlippe seine Tätigkeit zwischen 1933 und 1945 unverändert hatte fortsetzen können? Diese und andere Fragen stehen im Mittelpunkt eines Rundgangs durch Teile der Freiburger Altstadt.

Das Buch Fassaden für die Volksgemeinschaft. Stadtbild und Ideologie: Das Beispiel des Freiburger Stadtplaner Joseph Schlippe 1925 bis 1951 von Dr. Wulf Rüskamp erscheint im April 2022 beim Rombach Verlag Freiburg.

Link zum Buch

Mit anderen Augen durch die Innenstadt – Joseph Schlippes Einfluss auf Freiburg nach 1945

von Sabine Lauffer, Freiburg | diestadtbetrachterin.de

Joseph Schlippe (1885-1970) beeinflusste die Stadtplanung Freiburgs über 26 Jahre lang und prägte sie mit seiner traditionellen, konservativen Architekturhaltung. Wie dachte und handelte der Stadtplaner, Denkmalpfleger und Leiter des Freiburger städtischen Hochbauamtes in den Jahren seiner Amtszeit von 1925-1951? Warum konnte er dieses Amt ohne Unterbrechung ausüben, während es zwei gravierende politische Veränderungen in Deutschland gab? Mit diesen Fragen beschäftigte sich der ehemalige Redakteur der Badischen Zeitung und studierte Germanist und Historiker Dr. Wulf Rüskamp.

In Schlippes Amtszeit wurde das alte Freiburg bei einem Bombenangriff im November 1944 schwer getroffen und 80 % der Altstadt zerstört, u.a. auch die nördliche Herrenstraße, die Wulf Rüskamp als Treffpunkt für seinen Spurensuche auswählte. Doch bevor es richtig losging, verordnete ein launischer April-Schneeregen dem Spaziergang eine längere Pause. Das Architekturforum verlegte den Vortrag in die Innenräume des C-Punkts und lud alle zum Aufwärmen auf ein Getränk ein. Anhand von ausgedruckten Plänen und Fotografien stellte Wulf Rüskamp im Vortragssaal Schlippes Architekturverständnis und die Auswirkungen auf Freiburg anschaulich vor.

Ein mittelalterliches Stadtbild mit einfachen Bürgerhäusern, typisiert, mit schlichten Lochfassaden ohne „Putzornamente“ wollte Schlippe für Freiburg. Die überladenen Formen des Historismus und des Jugendstils lehnte er ab. Dies war ganz im Sinne des 1933 eingesetzten NS-Bürgermeisters Franz Kerber, der Schlippe im Amt behielt und 1935 zum Oberstadtdirektor ernannte. Aus dieser Zeit stammen bereits die Ideen für eine breitere Kaiser-Joseph-Straße mit Arkadenfassaden. Aus heutiger Sicht ist es allerdings verwunderlich, dass Joseph Schlippe von der französischen Militärregierung 1945 zum Leiter des Wiederaufbaubüros ernannt wurde, obwohl er sich nicht explizit vom völkisch nationalen Denken distanziert hatte.

Schlippe sah nach 1945 für Freiburg keinen Wiederaufbau der Großstadt Winterers vor, vielmehr orientierte er sich am „Landstädtchen Freiburgs“ vor der Gründerzeit, mit dreigeschossigen Häusern in der Kaiser-Joseph-Straße und zweigeschossigen traufständigen Giebelhäusern in den benachbarten Straßen. Angesichts der herrschenden Wohnungsnot im zerstörten Freiburg fanden diese Pläne keine Zustimmung im Gemeinderat. Dennoch tragen einzelne Straßenzüge die Handschrift Schlippes, z.B. die zweigeschossige Bebauung der nördliche Herrenstraße und angrenzenden Nußmannstraße. Die ursprünglichen Straßenverläufe wurden beibehalten und die Straßen verbreitert. Neu hinzugekommen sind diverse Durchbrüche im Straßenverlauf, z.B. von der Nußmannstraße zum Münstermarkt, oder von der Weberstraße Richtung Kartoffelmarkt. Den Begriff des Wiederaufbaus, der mit Schlippe verbunden wird, sieht Wulf Rüskamp kritisch. Seiner Auffassung nach wurde Freiburg nicht wiederaufgebaut, sondern neu gebaut. Denn das großstädtische Freiburg der Gründerzeit gab es nach 1945 nicht mehr. Heute bestimmen typische Fassaden der deutschen Nachkriegsarchitektur Freiburgs Innenstadt. Der Geist Schlippes ist noch spürbar.